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Wie eine Story entsteht

Der Auftrag

Schreibe eine Story für eine Kundenmagazin. Gezeigt werden soll 3D-Konstruktion mit dem neuen PlugIn »Woodwork Design«. Dies anhand eines Ladengeschäfts für Lindt&Sprüngli am Flughafen Zürich. Der Umfang darf eine Druckseite mit höchsten 2500 Anschlägen inklusive Leerzeichen nicht überschreiten.

Der Beginn

Am Anfang jeder solchen Business-Story stehen Fragen, Recherche und vor allem: Das Zuhören. Der Projektleiter erläutert die Besonderheiten des Ladengeschäfts und des Auftrages für den Ladenbauer. Dabei zeigt das Programm »Woodwork Design« ausführlich: Wie die Ladentheke sich drehen, wenden und aus allen Perspektiven betrachten lässt. Und wie Element um Element zusammengebaut wird.

Die Idee

Schon lange wollte ich eine eher lustige Story schreiben. Viele meiner Geschichten haben tragische Elemente oder bauen auf schmerzhafte, tragische Situationen auf. Gleichzeitig habe ich mich schon längere Zeit mit dem Gedanken getragen, eine Story aus der Sicht der Helferfigur zu erzählen.
Ähnlich wie das Faultier »Sid« in Ice Age oder der »Esel« in Shrek sind solche Helferfiguren gerne auch einmal schwatzhaft und ein wenig nervig angelegt. Was aber geschieht, wenn diese Figur nun ihre eigene Story, ihre Heldengeschichte zu erzählen beginnt?

Nach einigen Tagen Denkwerk fügen sich die Elemente dann auf einer Zugfahrt unvermittelt zusammen: Das wohl am wenigsten wahrgenommene, doch ständig anwesende Teil des Computers dürfte ein Pixel sein. Es ist zwar so klein, dass wir es von blossem Auge nicht erkennen können, aber ohne Pixel kein Bild. Mit anderen Worten: Das Pixel ist eine klassische Helferfigur; immer anwesend und unverzichtbar. Wenn auch nur ein einziges Pixel auf dem Bildschirm zu stark zu flackern beginnt, ist das nervig und anstrengend. Weil es so viele davon gibt, dürften die Pixels untereinander entweder ziemlich geschwätzig oder sehr still sein. Was wäre, wenn ein geschwätziges, etwas nerviges Pixel seine Geschichte zu erzählen begänne?
Meines lebt irgendwo in der Mitte seines Bildschirms.

Damit alles zusammenspielt, wende ich eine Technik an, die ich sehr mag: Ich verlasse die stereotype Abfolge des 5-Akte-Schemas und füge die Elemente neu zusammen. Statt in der bekannten Welt soll die Story mittendrin beginnen, kurz vor der Auflösung. Diese Technik, eingesetzt für eine solche Figur als Hauptperson ergibt mitunter überraschende Resultate, selbst für den Schreiber.

Die Rohfassung

Ich sitze also im Zug, habe eine Idee und beginne nun einfach drauflos zu schreiben. Ohne grosses Zurücklesen werden die grossen Linien der Geschichte entworfen, einfach wie es gerade herausfliesst. Die handelnden Figuren sind noch nicht ausgearbeitet. Vielmehr gewinnen sie während des Schreibens langsam an Tiefe. Weil die Story sehr kurz sein wird, dürfen die Figuren recht stereotyp angelegt sein. Mit dem Schreiben gewinnen sie an Eigenleben.

Lesen Sie hier die Rohfassung der Pixel-Story.

Umsetzung und erster Entwurf

Nun ist etwas Ruhezeit vonnöten – und mehrmaliges Durchlesen der Rohfassung: Würde Pix-El wirklich so sprechen? Ist er tatsächlich einer dieser Schwätzer, die man kaum unterbrechen kann? Was ist tatsächlich passiert im und vor dem Bildschirm? Stimmt die Reihenfolge? …
So entsteht nach und nach der Erstentwurf, die erste Fassung der Geschichte. Zwar soll sie der fertigen Story schon nahekommen, doch ist sie vor allem Ausgangsbasis für die weiteren Überarbeitung. Zum ersten Mal bekommt die Story nun auch einen Titel.

Lesen Sie hier den Erstentwurf von Pix-Els Geschichte

Die Überarbeitungen

Spätestens jetzt beginnt die Zeit der Leiden des Schreiberlings… Durch mehrere Stadien hindurch wird die Story überarbeitet und geschliffen. Das sind zwischen fünf und zehn Überarbeitungen, manchmal auch bis fünfzehn, die so ein Text aushalten muss. Gegen Ende dieser Entwicklung, kurz vor der ersten Endfassung, liest mindestens eine Testleserin, ein Testleser die Story und gibt eine Rückmeldung dazu.
In diesen Überarbeitungen geht es unter anderem um allererste Rechtschreibe-Korrekturen, jedoch vor allem um Stilistisches: Passen Wortwahl und Satzbau? Sagen die gewählten Begrifflichkeiten wirklich, was ich – oder in diesem Fall Pix-El – aussagen möchte(n)?

Betrachten Sie sich zwei dieser Schritte mit einem Klick auf »Document« gleich links: blau/Bleistift ist einer der Schritte, in rot der andere.

Ich selbst arbeite immer mit ausgedruckten Versionen, denn auf Papier sieht man wesentlich mehr. Ausserdem empfiehlt es sich den Ort zu wechseln, um eine (eigene) Story zu beurteilen und zu korrigieren. Damit schlagen Sie Ihrem Hirn ein Schnippchen, denn sie signalisieren ihm, dass das Geschriebene jetzt etwas Neues sei. Dadurch sehen Sie mehr oder zumindest anderes, was sie vorher nicht gesehen haben.

Am Ende dieses ganzen Prozesses steht bei einer Auftragsarbeit der so genannte Auslieferungs-Entwurf; die erste Endfassung des Textes. Die Story geht nun zum Kunden zu einer ersten Beurteilung; ein Manuskript ginge jetzt in Richtung Lektorat.

Schauen Sie sich hier den Auslieferungs-Entwurf an

Die Endfassung

Pixels Story war schon sehr speziell. Sie hat sich weit von klassischen Mustern entfernt, wahrscheinlich zu weit. Dem Kunden hat sie nicht wirklich gefallen: Die Figur des »Pix-El« wurde erst sehr spät aufgelöst. Ausserdem kann Pix-Els enorme Geschwätzigkeit auch unsympathisch wirken. Ich war mir dieser »Gefahr« bewusst, doch es war das Risiko wert…
Wie jeder Storyteller hänge ich an meinen Geschichten und an meinen Charakteren.

Aufgrund der Rückmeldung des Kunden habe ich die Story nochmals für einige Tage beiseite gelegt und in Gedanken mit ihr (und mit mir) gekämpft. Gäbe es einen neuen Ansatz? Muss ich jetzt eine völlig neue Story entwerfen?
Am Ende gab es nur eine Lösung: Zurück zu Schritt zwei und einen neuen Erstentwurf schreiben. Aufbauend auf den tradierten Schemata des Storytellings und doch nahe bei den bestehenden, zentralen Elementen der ursprünglichen Story.

Pixels neue Story

Sie sehen, die Story hat sich nun recht stark verändert. Die Figur von »Pixel« ist etwas eindimensionaler, stereotyper geworden und er ist auch weniger geschwätzig. Pixel könnte jetzt auch ein etwas älteres Modell sein, schon ein ganz klein wenig vergesslich. Gleichzeitig hat Pixel menschlichere Züge bekommen und in seiner Weigerung Neues zu lernen, sich zu verändern – eine sehr menschliche Verhaltensweise – trägt er ein etwas höheres Identifikationspotential in sich.
Nach dem OK wird die Story dann nochmals kurz überarbeitet und ein wenig geglättet. Als Storyteller haben Sie normalerweise keine Lektorin, keinen Lektor zur Hand, daher müssen wir in solchen Fällen selbst noch einmal auf Wortwahl und Stimmigkeit in sich achten. Wie die Story erschienen ist? Klicken Sie unten auf »Document«.

Technische Angaben & Credits

Aufwand: ca. 3 Arbeitstage verteilt auf 6 Wochen
Anzahl Anschläge: 2310 (Vorgabe maximal 2500)

Auftraggeber: Jeka AG, Arlesheim
Gestaltung: Binkertpartnerinnen, Zürich
Eine Arbeit von © Matthias Nold | Kommunikationskutlur

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